Rück- und Ausblick auf die Mitgliedschaft der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat

Das Jahr 2023 im UNO-Sicherheitsrat war geprägt von verschiedenen Krisen. In den praktisch täglich stattfindenden Ratssitzungen fehlte kaum einer der Konfliktherde der Welt, von Haiti über den Sudan und die Ukraine bis zum Nahen Osten. Im vergangenen Jahr setzte die Schweiz gemäss den vom Bundesrat definierten vier Prioritäten Akzente, auf denen sie in der zweiten Hälfte ihrer Ratsmitgliedschaft 2024 aufbauen will.

Bundesrat Ignazio Cassis sitzt während der Schweizer Präsidentschaft am hufeisenförmigen Tisch des UNO-Sicherheitsrats.

Die Schweiz setzte 2023 im UNO-Sicherheitsrat Akzente, auf denen sie 2024 aufbauen will. Hier im Bild Bundesrat Ignazio Cassis während der Schweizer Ratspräsidentschaft im Mai 2023. © EDA

Die Mitgliedschaft der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat fällt in eine Zeit, in der die Welt immer mehr aus den Fugen zu geraten scheint. Der schon fast zwei Jahre andauernde Krieg gegen die Ukraine, die Gewalteskalationen im Nahen Osten, Nagorno-Karabach und im Sudan sowie die Staatsstreiche in Niger und Gabun haben die globale Instabilität weiter erhöht. Die Spannungen und das Misstrauen zwischen den Weltmächten, die mit diesen Krisen und Konflikten einhergehen, spiegeln sich auch am Tisch des Sicherheitsrats. Die Grossmächte bringen immer weniger Bereitschaft zur Zusammenzuarbeit und der Suche nach gemeinsamen Lösungen auf. Ein Beispiel dafür ist der Umgang des Sicherheitsrats mit dem Konflikt im Nahen Osten seit dem 7. Oktober. Von insgesamt sechs Resolutionsentwürfen, hat der Rat lediglich eine Resolution verabschiedet, die auf den humanitären Schutz von Kindern abzielt. Doch trotz dieser Herausforderungen trifft der Rat nach wie vor zu vielen Fragen wichtige Entscheide, zu so unterschiedlichen Kontexten wie Afghanistan, Jemen oder Somalia. 

Infografik mit den wichtigsten Zahlen zu der Arbeit des UNO-Sicherheitsrats im Jahr 2023.
Das Jahr 2023 im UNO-Sicherheitsrat in Zahlen . © EDA

Im vergangenen Jahr hat sich die Schweiz gemäss ihrer vier thematischen Prioritäten («nachhaltigen Frieden fördern», «Zivilbevölkerung schützen», «Klimasicherheit angehen» und «Effizienz des Sicherheitsrats stärken») als aktives und konstruktives Ratsmitglied etabliert. Dies gelang auch dank ihrer Vorsitz- und Penholder-Rollen, während ihrer ersten Präsidentschaft im vergangenen Mai, aber auch in den Verhandlungsprozessen hinter verschlossenen Türen. Zentral war dabei das Vertreten ihrer Werte und Interessen. Dazu zählen unter anderem ihr Auftrag aus der Bundesverfassung sich für ein friedliches Zusammenleben der Völker einzusetzen, die Stärkung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte sowie das Bauen von Brücken, um einen Beitrag zur Lösungsfindung im UNO-Gremium zu schaffen. Beispiele in welchen Bereichen die Schweiz 2023 konkret Akzente gesetzt hat, ist im Folgenden nach Priorität aufgeschlüsselt:

Nachhaltigen Frieden fördern

Im Rahmen ihrer Priorität «nachhaltigen Frieden fördern» setzt sich die Schweiz als Mitglied des Sicherheitsrats für das Schaffen von Vertrauen zur Stärkung der Zusammenarbeit unter den Staaten im Rat ein. Am 3. Mai organisierte die Schweiz während ihrem Vorsitzmonat eine hochrangige Debatte, in welcher der Aufbau von Vertrauen zugunsten von Frieden und Sicherheit in der Welt im Vordergrund stand. Mit der Aussage «Wo Vertrauen herrscht ist alles möglich», lancierte Bundesrat Ignazio Cassis ein Thema im Rat, das vor dem Hintergrund des Misstrauens und der Spannungen zwischen den Grossmächten wichtiger ist denn je. Ein Grossteil der 68 Staaten, die an der Debatte teilnahmen, war sich einig, dass Vertrauen in Institutionen ein wichtiger Faktor für den Frieden ist. Der EDA-Vorsteher unterstrich damals, dass die Wissenschaft eine zentrale Rolle einnehmen kann, um nachhaltigen Frieden zu fördern. Wissenschaftlich fundierte Fakten untermauern gegenseitiges Vertrauen und die Wissenschaft sowie neue Technologien bieten die Chance Risiken und Chancen in der Zukunft zu antizipieren und zu verstehen, um darauf zu reagieren.

Ein Schweizer Armeeangehöriger beobachtet mit einem Feldstecher ein Tal in Bosnien und Herzegowina.
Seit 2004 tragen Schweizer Armeeangehörige zur Friedenssicherung im Rahmen von EUFOR Althea in Bosnien und Herzegowina bei. © VBS

Am 2. November autorisierte der UNO-Sicherheitsrat einstimmig das Mandat der Stabilisierungs-Mission EUFOR ALTHEA in Bosnien und Herzegowina um ein weiteres Jahr. Kernaufgabe der Mission ist die Unterstützung der Behörden bei der Aufrechterhaltung eines sicheren Umfelds im Land. Die diesjährigen Verhandlungen fanden unter der Leitung der Schweiz statt. In dieser Rolle ermöglichte sie den Dialog zwischen allen Beteiligten. EUFOR ALTHEA einen wichtigen Beitrag zur Friedenssicherung in Bosnien und Herzegowina und trägt zur Stabilisierung der westlichen Balkanregion bei.

Zivilbevölkerung schützen

Am 30. Mai 2023 präsentierte der Generaldirektor der Internationale Atomenergieorganisatin IAEA, Rafael Grossi, dem UNO-Sicherheitsrat in Anwesenheit von Vertreterinnen und Vetreter der Ukraine und Russlands fünf Prinzipien für den Schutz des Kernkraftwerks Saporischschja im Südosten der Ukraine:

  1. Keine Angriffe jeglicher Art vom oder gegen das Kernkraftwerk;
  2. Keine Lagerung oder Stationierung schwerer Waffen oder Truppen auf der Anlage;
  3. Keine Gefährdung der externen Stromversorgung;
  4. Schutz aller für den sicheren Betrieb notwendigen Systeme vor Angriffen oder Sabotageakten;
  5. Keine Handlungen, welche diese Prinzipien untergraben.
Bundesrat Ignazio Cassis und IAEO-Generaldirektor Rafael Grossi sprechen vor den Medien in New York.
Bunderat Ignazio Cassis und der IAEO-Generaldirektor Rafael Grossi, rufen Russland und die Ukraine dazu auf, die fünf IAEA-Prinzipen für den Schutz des Kernkrafwerks Saporischschja umzusetzen. © Keystone

Die Sitzung setzte den Schutz der Zivilbevölkerung vor nuklearen Katastrophen in den Fokus. «Wir alle sind uns der Risiken für die Zivilbevölkerung bewusst, wenn sich ein Kernkraftwerk in einem Kriegsgebiet befindet. Es ist unsere Pflicht, die Zivilbevölkerung zu schützen», sagte Bundesrat Cassis damals in New York. In Absprache mit der IAEA und den anderen Ratsmitgliedern hatte sich die Schweizer Diplomatie in den Wochen vor dem 30 Mai für die Durchführung dieser Sitzung eingesetzt. Bundesrat Ignazio Cassis, der die Sitzung im Rat leitete, erinnerte daran, dass der Schutz des Kernkraftwerks Saporischschja eine Frage des Respekts des humanitären Völkerrechts ist. Die Achtung und Förderung dieses Rechts ist eine Priorität der Schweiz und ein Pfeiler ihrer Guten Dienste.

Ebenfalls organisierte die Schweiz während ihrer Ratspräsidentschaft im Sicherheitsrat eine weitere offene Debatte. Unter dem Vorsitz von Bundespräsident Alain Berset erörterten zahlreiche hochrangige Vertreterinnen und Vertreter Massnahmen, um den Teufelskreis zwischen Konflikten und Ernährungsunsicherheit zu durchbrechen. Die Debatte unterstrich die Bedeutung des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, ein Thema, für das sich die Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen und Sitzstaat des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) seit langem engagiert. Der Bundespräsident schlug damals im Namen der Schweiz konkrete Wege vor, wie die Zivilbevölkerung besser geschützt werden kann und betonte zugleich, dass der politische Wille entscheidend sei. 

Klimasicherheit angehen

Im Bereich der Klimasicherheit konnte die Schweiz ebenfalls Akzente setzen, obwohl das Thema aufgrund nationaler Interessen verschiedener Ratsmitglieder keinen leichten Stand im UNO-Sicherheitsrat hat. Die Auswirkungen des Klimawandels wie Dürren, Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen bedrohen die Lebensgrundlagen für Menschen weltweit. Dadurch wird die Stabilität und Sicherheit in zahlreichen Ländern und Regionen untergraben. In mehr als der Hälfte der vom Klimawandel besonders betroffenen Staaten herrschen bewaffnete Konflikte. Sie sind am anfälligsten für seine Folgen. Die Schweiz setzte sich 2023 während der Verhandlungen zu fünf Mandatserneuerungen von UNO-Friedensmissionen erfolgreich dafür ein, dass die Sicherheitsproblematik in den verabschiedeten Resolutionstexten verankert ist und stärker berücksichtigt wird. Dazu zählen die UNO-Friedensmissionen im Südsudan (UNMISS), Irak (UNAMI), Haiti (BINUH), Libyen (UNSMIL) und Somalia (UNSOM). 

Effizienz des Rats stärken

Die Schweiz setzt sich im Rahmen ihrer Priorität «Effizienz des Sicherheitsrats stärken» unter anderem für eine stärkere Verknüpfung der Arbeit des UNO-Standorts Genf sowie für verbesserte Arbeitsprozesse und die Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrats ein. Auf Initiative der Schweiz trafen sich vor diesem Hintergrund zwischen dem 27. und 29. August 2023 die aktuellen zehn nichtständigen Mitglieder (E10) des Rats sowie die fünf für die Jahre 2024-2025 neugewählten in Genf und in Glion bei Montreux. Dieser Austausch bot die Gelegenheit, Beziehungen aufzubauen und sich über gemeinsame Herausforderungen im Sicherheitsrat und deren Lösungen auszutauschen. Dies fördert das institutionelle Gedächtnis der E10 und damit die Kontiniutät der Ratsarbeit. Darüber hinaus werden die Fähigkeiten der gewählten Mitglieder gestärkt, die Agenda, die Arbeitsmethoden und die Entscheidungsprozesse des Rates mit zu beeinflussen. Dies kommt schlussendlich dem Sicherheitsrat, der UNO und dem Multilateralismus zugute. Denn ein effizienter und handlungsfähiger Sicherheitsrat ist vor dem Hintergrund der unzähligen Konflikten und Krisen auf der Welt wichtiger denn je.

21 Frauen und Männer aus allen Teilen der Welt sitzen an einem Tisch und diskutieren.
Die aktuellen und zukünftigen nichtständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats haben in der Schweiz ihre Zusammenarbeit vertieft, um die Effizienz der Ratsarbeit zu stärken. © EDA

Ausblick auf die zweite Hälfte der Schweizer Ratsmitgliedschaft

«Ich bin zuversichtlich, dass es dem Team Schweiz im kommenden Jahr gelingen wird, auf bisherigen Erfolgen aufzubauen und nachhaltige Akzente zu setzen», sagt Thomas Gürber, Chef der Abteilung UNO und stellvertretender Staatssekretär im EDA.

Anknüpfungspunkte dafür gibt es genug: Im Bereich der Priorität «nachhaltigen Frieden fördern» will die Schweiz unter anderem die Rolle und Nutzung von anerkannten wissenschaftlichen Daten stärken und fördern. Dies steht in direktem Zusammenhang mit der Vorzeigeveranstaltung unter der Leitung von Bundesrat Cassis während der Schweizer Ratspräsidentschaft im Mai 2023. Damals unterstrich der EDA-Vorsteher die Bedeutung der Wissenschaft für den Aufbau von gegenseitigem Vertrauen zugunsten von Frieden und Sicherheit in der Welt.

Betreffend den Schutz der Zivilbevölkerung, begehen die Genfer Konventionen nächstes Jahr ihr 75-jähriges Bestehen. Sie sind der Kern des humanitären Völkerrechts für dessen Respekt sich die Schweiz als Depositarstaat in ihrer Aussenpolitik und auch in ihrer Arbeit im Sicherheitsrat weiterhin stark einsetzen wird. 

Ich bin zuversichtlich, dass es dem Team Schweiz im kommenden Jahr gelingen wird, auf bisherigen Erfolgen aufzubauen und nachhaltige Akzente zu setzen.
Botschafter Thomas Gürber, Chef der Abteilung UNO und stellvertretender EDA-Staatssekretär

Im Bereich der Klimasicherheit wird sich die Schweiz auch nächstes Jahr dafür engagieren, dass sich der Sicherheitsrat weiterhin mit dieser Herausforderung befasst. Denn der Klimawandel bleibt die grösste systemische Bedrohung für die Menschheit, die insbesondere die Zivilbevölkerung in Konfliktregionen trifft. So wird der Einbezug der Klimaproblematik in Resolutionen zu geografischen Kontexten weiterhin ein Schwerpunkt der Schweizer Ratsarbeit bleiben.

Gleiches gilt für die Stärkung der Effizienz des Sicherheitsrats. In einer Zeit von omnipräsenten Krisen und Konflikten ist es wichtig, dass der Rat sein Mandat für Frieden und Sicherheit in der Welt wahrnehmen kann. So wird sich die Schweiz auch 2024 für Konsens und die Zusammenarbeit aller Ratsmitglieder einsetzen. Darüber hinaus möchte sie unter anderem dem Aspekt Rechtsstaatlichkeit der Sanktionsmassnahmen des Rats mehr Geltung verschaffen. Vor diesem Hintergrund wird die Schweiz auch im 2024 alles daran setzen, um ihrem Kandidatur-Slogan – ein Plus für den Frieden zu sein – gerecht zu werden.

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