Tradition und Prinzipien der Schweiz für die humanitäre Minenräumung

Die Schweiz unterstützt seit mehr als zwei Jahrzehnten politisch und finanziell die Aktionen im Bereich der humanitären Minenräumung. Zahlreiche in diesem Bereich aktive Organisationen haben ihren Sitz in Genf. Sie unterstützen Länder und deren Bevölkerung bei der Minenbekämpfung. Im Rahmen der Ukraine Recovery Conference 2023 nahm Bundesrat Ignazio Cassis am 22. Juni an einem Panel über humanitäre Minenräumung teil. Was macht die Schweiz in diesem Bereich? Ein Überblick.

Zwei Männer in Schutzkleidung arbeiten an der Minenräumung auf einem Feld, auf dem sich wahrscheinlich Munition befindet.

In der Ukraine ist die humanitäre Minenräumung entscheidend für die Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Aktivitäten. © FSD

Seit über 20 Jahren unterstützt die Schweiz die Politik der internationalen Gemeinschaft im Bereich der humanitären Minenräumung. Auf ihre Initiative hin wurden in den 1990er-Jahren die drei Genfer Zentren ins Leben gerufen: das Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP), das Genfer Zentrum für die Gouvernanz des Sicherheitssektors (DCAF) und das Genfer internationale Zentrum für humanitäre Minenräumung (GICHD). In den drei Jahrzehnten ihres Bestehens haben sich diese drei Zentren im Rahmen strategischer Partnerschaften ein spezifisches Know-how erarbeitet, das heute Ländern auf der ganzen Welt mit vielfältigen Bedürfnissen zugutekommt. Im Bereich der Minenräumung verfügt das GICHD über allgemein anerkanntes Wissen, das es mit der Unterstützung der Schweiz anlässlich jährlich durchgeführter Ausbildungen an die am meisten von der humanitären Minenräumung betroffenen Länder und Personen weitervermittelt.

Die Schweiz setzt sich seit jeher für den Schutz der Zivilbevölkerung und die Förderung des humanitären Völkerrechts ein. Diese Prinzipien gehören auch zu den Prioritäten der Schweiz für ihre Mitgliedschaft im UNO-Sicherheitsrat. Die humanitäre Minenräumung ist ein zentraler Teil dieses Engagements und eine Voraussetzung für den langfristigen Wiederaufbau in Konfliktländern.

Humanitäre Minenräumung als Eckpfeiler des Wiederaufbaus in der Ukraine

Mit der Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine (URC) wurde im Juli 2022 der Wiederaufbauprozess der Ukraine lanciert. Die in Lugano abgehaltene Konferenz diente dazu, die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu koordinieren und die Prioritäten für den Wiederaufbau zu besprechen. Die humanitäre Minenräumung gehört zu diesen Prioritäten. In der Ukraine und insbesondere in den am stärksten betroffenen Regionen im Osten und Süden ist die Minenräumung auf grossen Anbauflächen in den Konfliktgebieten zentral dafür, dass wieder Landwirtschaft betrieben werden kann. Die Minenräumung trägt dazu bei, die Wirtschaft des Landes wiederzubeleben und einen sicheren Zugang zu kritischer Infrastruktur (Strom, Wasser, Verkehr) sicherzustellen. Ausserdem schafft sie die Voraussetzung dafür, dass Kriegsflüchtlinge und Binnenvertriebene zurückkehren können. 

Internationale Abkommen

In den letzten 25 Jahren wurden wichtige internationale Übereinkommen geschlossen, namentlich die Ottawa-Konvention über Personenminen und die Oslo-Konvention über Streumunition. Mehr als 30 Staaten konnten vollständig von Minen befreit werden, und in 10 Ländern wurden alle Rückstände von Streumunition entfernt.

Ottawa-Konvention (Verbot von Personenminen)

Das 1997 verabschiedete Übereinkommen verbietet die Herstellung, den Einsatz, die Lagerung und die Weitergabe von Personenminen. Es wurde bisher von über 160 Staaten ratifiziert, die sich damit verpflichtet haben, ihre Bestände an Personenminen innerhalb von vier Jahren nach der Ratifizierung zu vernichten und alle Personenminen auf ihrem Gebiet innerhalb von zehn Jahren zu beseitigen. Die Schweiz hat das Übereinkommen als eines der ersten Länder im März 1998 ratifiziert und ihre letzten Bestände an Personenminen 1999 vernichtet.

Oslo-Konvention (Verbot von Streumunition)

Das 2008 verabschiedete Übereinkommen verbietet die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Weitergabe sowie den Einsatz von Streumunition. Bisher wurde es von 100 Staaten ratifiziert, von der Schweiz im Juli 2012. Nach der Ratifizierung passte die Schweiz das Kriegsmaterialgesetz an und vernichtete bis 2018 ihrer eigenen Bestände.

Weshalb ist die humanitäre Minenräumung notwendig?

Minen und Blindgänger bleiben während Jahrzehnten eine Gefahr, auch nach der Beendigung eines Konflikts. Diese Kampfmittelrückstände kontaminieren grosse Flächen und sind für die lokale Bevölkerung lebensgefährlich. Unfälle mit Personenminen fordern viele Todesopfer, darunter zahlreiche Kinder.

Die humanitäre Minenräumung träg auch dazu bei, die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen von Minen und anderen Sprengkörpern zu mildern. Entscheidend sind daher neben der eigentlichen Minenräumung auch Investitionen in die Risikoaufklärung, in die Opferhilfe und in die Überzeugungsarbeit für eine Ächtung von Personenminen und Streumunition.

Infografik mit Zahlen und Fakten über das Schweizer Fachwissen in der Minenräumung.
Minen und andere nicht explodierte Munition bringen die lokale Bevölkerung in grosse Gefahr. © EDA

Gegen welche Art von Minen kann die Schweiz vorgehen?

Es gibt im Wesentlichen zwei Arten von Landminen: Personenminen und Fahrzeugminen (oder Panzerminen). Die Schweiz ist bei der Minenräumung im Rahmen ihrer Partnerschaften für die Entschärfung von Minen zuständig, die aufgrund ihrer Art, ihrer Funktionsweise und ihrer grossflächigen Anwendung viele zivile Opfer fordern. Im Gegensatz zu Fahrzeugminen, die hauptsächlich für militärische Zwecke eingesetzt werden, gibt es bei den Personenminen keine Unterscheidung zwischen Zivilbevölkerung und Kombattanten. Jede von der Schweiz unterstützte Minenräumung kann und muss sich gegen solche Kampfmittel richten.

Bericht von Lith Soyda, einem Opfer von Streumunition in Laos

Welche Folgen können Personenminen für die Zivilbevölkerung haben? In Laos, einem der am stärksten durch Streumunitionsrückstände belasteten Länder, erzählt ein junger Mann von seinem Schicksalsschlag. Lith Soyda war erst sechs Jahre alt, als er auf eine Streubombe geriet.

Als er vor dem Haus seiner Grosseltern ein Feuer entfachen wollte, gab es eine heftige Explosion, die ihn ins Koma versetzte. Als er erwachte, lag er in einem Spitalbett. Die Finger seiner rechten Hand waren amputiert, und er war auf dem rechten Auge blind. «Meine Eltern haben ihre gesamten Ersparnisse ausgegeben, um mein Leben zu retten. Und danach benötigte ich monatelang Rehabilitation, bis ich wieder ein einigermassen normales Leben führen konnte», erzählt er. Lith Soyda ist heute 20 Jahre alt und schliesst demnächst die Mittelschule ab. Mit der Unterstützung von Handicap International nimmt er ausserdem an Kursen zur Einführung in Freiwilligenarbeit teil und kämpft für die Anliegen von Menschen mit Behinderungen in Laos.

Derzeit unterstützt der Bund 13 Staaten direkt durch die Finanzierung von Projekten. Ausserdem hat er 14 Expertinnen und Experten an sieben verschiedene Orte entsendet. Insgesamt profitieren derzeit 17 Länder von der Unterstützung und dem Know-how der Schweiz. Im Zusammenhang mit der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine standen die Universalisierung und Einhaltung der völkerrechtlichen Instrumente und die Nutzung von Synergien zwischen der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Minenräumung von Anfang im Fokus der Schweizer Unterstützung für die Ukraine.

Die drei Aktionsfelder der Schweiz im Bereich der Minenräumung

Der Aktionsplan Humanitäre Minenräumung für den Zeitraum 2023–2026 definiert drei Aktionsfelder, an denen sich die weltweiten Aktivitäten der Schweiz in diesem Bereich orientieren: Förderung des normativen Rahmens, humanitäre Minenräumung vor Ort und Innovation.

Das wichtigste Ziel der Schweiz besteht darin, dass die Staaten die Bestimmungen des Völkerrechts und des humanitären Völkerrechts einhalten und umsetzen. Dazu fördert die Schweiz die verschiedenen bestehenden Übereinkommen in den multilateralen Foren. Akteure wie nichtstaatliche bewaffnete Gruppen müssen sich ebenfalls an diese Bestimmungen halten. Im Prozess der humanitären Abrüstung spielt das internationale Genf eine entscheidende Rolle, die es weiter zu stärken gilt.

Zweitens ist die Schweiz in den betroffenen Staaten und Gebieten aktiv. Dabei legt sie den Schwerpunkt auf die Räumung von Minen und anderen Kampfmitteln, auf die Risikoaufklärung sowie auf die Opferhilfe. Durch Projekte und die Entsendung von Expertinnen und Experten erhöht sie die Sicherheit der betroffenen Menschen und ermöglicht eine nachhaltige Entwicklung. Nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe fördert sie langfristig insbesondere den Aufbau nationaler Kapazitäten.

Schliesslich nutzt die Schweiz auch die Chancen innovativer Herangehensweisen. Sie fördert die konsequente Anwendung der internationalen Normen zur Bekämpfung von Minen und deren Weiterentwicklung angesichts spezifischer Herausforderungen wie der Belastung urbaner Gebiete oder behelfsmässiger Sprengvorrichtungen (IED). Zudem setzt sie sich für die sinnvolle Anwendung neuer Technologien ein, welche die humanitäre Minenräumung effizienter und wirksamer machen. Der Bund finanziert ausserdem die vom GICHD in Genf organisierten Innovations- und Technologie-Workshops.

Aktionsplan Humanitäre Minenräumung 2023-2026 (PDF, 28 Seiten, 4.2 MB, Deutsch)

Mit welchen Organisationen arbeitet die Schweiz zusammen?

Im Rahmen ihrer Aktivitäten im Bereich der humanitären Minenräumung finanziert die Schweiz mehrere strategische Partner, mit denen sie eng zusammenarbeitet. Die beiden wichtigsten Partner sind das GICHD und die Fondation suisse de déminage (FSD), die ihren Sitz ebenfalls in Genf hat. Dank dieser beiden Organisationen, die seit 25 Jahren weltweit tätig sind, geniesst die Schweiz international eine hohe Glaubwürdigkeit. Dies stärkt das internationale Genf als wichtigste globale Abrüstungsplattform und wichtigstes Zentrum der globalen Gouvernanz. Darüber hinaus ermöglicht der Standort Genf auch eine engere Verschränkung von Innen- und Aussenpolitik der Schweiz.

Die Expertinnen und Experten der FSD engagieren sich vor Ort für die Vernichtung von Personenminen und nicht explodierten Kampfmitteln und unterstützen direkt Menschen, die von bewaffneten Konflikten oder instabilen Situationen betroffen sind. Das GICHD setzt sich für die Bekämpfung der Verbreitung von Landminen und Streumunition sowie gegen die Lagerung von Munition ein. Es unterstützt jedes Jahr rund 40 betroffene Staaten und Gebiete. 

Konkrete Aktivitäten im Zusammenhang mit der Ukraine

Nach der militärischen Aggression Russlands und der starken Belastung durch Minen und andere Kampfmittel in der Ukraine führte die Schweiz in Zusammenarbeit mit dem GICHD und der FSD Minenräumungen durch. Beide Organisationen sind in der Ukraine offiziell für ihre Tätigkeiten akkreditiert.

Das VBS hat über das GICHD seit Juli 2022 Ausbildungskurse finanziert, seit Herbst 2022 auch vor Ort in der Westukraine. Das EDA unterstützte im Rahmen eines FSD-Projekts die Risikoaufklärung und förderte die Koordination im Bereich der humanitären Minenräumung, unter anderem durch ein vom GICHD organisiertes internationales Treffen aller wichtigen Akteure in Genf.

Ausserdem führt die FSD auf Ersuchen der Ukraine technische und nichttechnische Studien in Tschernihiw, Nikolajew und Charkiw durch, und sie hat im Rahmen des Projekts von UNO und FAO mit der operativen Minenräumung an den am stärksten belasteten Orten in diesen Regionen begonnen.

Neben der FSD und dem GICHD arbeitet die Schweiz auch eng mit Nichtregierungsorganisationen wie Geneva Call, Cluster Munition Coalition und Landmine and Cluster Munition Monitor sowie mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zusammen.

Welche Departemente der Bundesverwaltung sind in die humanitäre Minenräumung involviert?

Der Bund wendet für die humanitäre Minenräumung eine Aufgabenteilung nach den Grundsätzen des Whole-of-Government-Ansatzes an. Konkret erfolgt die Umsetzung des Aktionsplans Humanitäre Minenräumung 2023–2026 in Form einer interdepartementalen Zusammenarbeit zwischen dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS).

Innerhalb des EDA ist die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) für die Opferhilfe, die Prävention und den Aufbau lokaler Kapazitäten zuständig. Die Abteilung Frieden und Menschenrechte (AFM) unterstützt Minenräumungsprojekte und entrichtet Beiträge an Minenräumungsorganisationen, die sowohl von der Schweiz als auch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt sind. Das EDA spielt auch auf der politischen Bühne eine führende Rolle.

Das VBS stellt spezialisierte Armeeangehörige für Minenräumungsprogramme der UNO zur Verfügung. Diese werden in Einsatzgebiete entsendet und helfen dort der lokalen Bevölkerung beim Kapazitätsaufbau. Dabei werden lokalen Minenräumungsteams die erforderlichen Kenntnisse vermittelt, damit sie langfristig einsatzfähig sind. Das VBS hat auch dem zivilen ukrainischen Dienst für Katastrophenhilfe (State Emergency Service of Ukraine, SESU) eine Minenräummaschine, die von der schweizerischen Stiftung DIGGER entwickelt und hergestellt wurde, übergeben. Dabei handelt es sich um ein ferngesteuertes Raupenfahrzeug der Grösse eines kleinen Bulldozers. Dieses Fahrzeug kann Personenminen mit einer Fräse zerstören beziehungsweise zur Explosion bringen und damit unschädlich machen.

Wie hoch ist der finanzielle Beitrag der Schweiz?

Die Schweiz wendet jedes Jahr zwischen 16 und 18 Millionen Franken für die humanitäre Minenräumung auf. Damit gehört sie zu den fünfzehn grössten Geberländern der Welt in diesem Bereich. Ein Grossteil dieser Gelder wird zur Finanzierung der GICHD-Ausbildungsprogramme verwendet (CHF 9,5 Mio. pro Jahr). Mit diesem Betrag – der auf der Grundlage des Rahmenkredits für die weitere Unterstützung der drei Genfer Zentren in den Jahren 2020 bis 2023 bewilligt wurde – trägt die Schweiz rund 50 Prozent zum Budget des GICHD bei.

Der Aktionsplan Humanitäre Minenräumung sieht zusätzliche Mittel für die Ukraine vor. Die humanitäre Minenräumung in der Ukraine erfordert ein langfristiges Engagement. Für den Zeitraum 2023–2028 hat die Internationale Zusammenarbeit (IZA) 150 bis 200 Millionen Franken Eigenmittel aus ihrem Rahmenkredit für die Unterstützung der Ukraine reserviert.

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